"Ostwind 2" oder warum zu viele Konflikte die Geschichte schädigen
Die Pferde fliegen wieder! Mit Ostwind 2 begiebt sich Regisseurin Katja von Garnier wieder auf die Reise in den wahrgewordenen Mädchentraum. Die Geschichte von Mika und dem Pferd Ostwind hat schon im ersten Teil der Buchverfilmung verzaubert. Der zweite Teil verspricht noch einen Schritt weiter zu gehen.
Wunderschöne poetische Bilder entführen uns in eine märchenhafte Welt. Die Komposition aus wilder Natur, majestätischen Tieren, vollkommenem Farbenspiel, einfühlsamer Musik, perfekt gewählten Kameraeinstellungen und dem richtigen Rhythmus lassen den Zuschauer alles um einen herum vergessen. Diese Bild- und Szenengestaltung hat jeden Preis der Welt verdient. Allein deswegen lohnt es sich diesen Film zu sehen.
Jedoch bleibt bei aller Schönheit die Story auf der Strecke.
Dramaturgische Analyse:
Mika kehrt nach längerer Zeit auf den inzwischen runtergekommenen, verlassenen Reiterhof ihrer Großmutter zurück. Schnell stellt sich heraus, dass Mikas Oma Pleite ist und der Hof innerhalb von zwei Wochen an die Bank fällt, sollte sich keine Geldquelle auftun. Mika versucht also nach längerem Hin und Her das Geld bei einem Turnier zu gewinnen.
Den Inhalt in wenigen Sätzen zu umfassen erweist sich als äußerst schwierig. Nach jeder Minute eröffnet sich ein neuer Handlungsstrang und damit auch ein neuer Konflikt. Man hat beim zusehen das Gefühl irgendwann nicht mehr durch zu blicken. Um was geht es hier eigentlich?
Wir haben zum einen Mika, die Sehnsucht nach ihrem Pferd hat. Mika, die nicht nach Paris fahren will, sondern frei sein und das kann sie scheinbar nur bei ihrem Pferd. Mika, die sich Sorgen um Ostwind wegen Kratzer und blutigen Wunden macht. Mika, die den Hof retten will - zwar nicht aus eigenem Antrieb, aber schlussendlich dann doch. Mika, die ein wildes Pferd zähmen will. Mika die sich verliebt. Mika, die mit Ketten und Zwang nichts zu tun haben will und deswegen Probleme mit dem Turnierteil Dressur hat. Der Konflikt zwischen Mika und Ostwind, da sie ihm versprochen hat keine Turniere mehr zu reiten. Der Konflikt zwischen Mika und ihrer Großmutter. Konflikt zwischen Mika und Sam, weil er ihr die Schuld am Verlust des Hofes gibt. Mika und Milan, die unterschiedlicher Meinung mit dem Umgang von Pferden sind. Konflikt zwischen Frau Kaltenbach und Kaan. Zwischen Frau Kaltenbach und ihrer Tochter, Mikas Mutter. Frau Kaltenbach und ihrem alten Schüler,der jetzt Starreiter ist. Frau Kaltenbach und die Bank. Leopold Sasse, das Konkurrenzgestüt. Sasse, der Kaltenbach aufkaufen will. Sasse und das weiße Pferd. Sasse und Milan. Die arroganten Reiterinnen, der Ungar, die Polzei, zum Tode verurteilte Pferde, der Tierschutz. Konflikt über Konflikt ergießt sich übereinander. Aufgelöst wird kaum einer. Stattdessen wird immer noch einer oben drauf gesetzt.
Der Versuch die schönen Bilder durch viele Twists und Turns nicht langweilig werden zu lassen, mündet in einem verworrenen Durcheinander. Eine Katharsis findet am Ende nicht statt. Die Story ist nicht rund und ich habe nicht das Gefühl etwas gelernt zu haben, etwas für mich mitnehmen zu können. Was ist die Message des Films?
Das was uns eine Geschichte sagen will, erfahren wir durch die Reise des Helden, der Hauptfigur, die am Ende den äußeren Konflikt lösen konnte, indem sie zuerst seinen inneren Konflikt gelöst hat. Was ist Mikas innerer Konflikt? Hier stehen einige zur Auswahl.
Ich empfinde es - auch in Bezug auf die Zielgruppe (Jugendliche von 11- 18) - als stärkstes Motiv, dass Mika sich nicht begrenzen will. Sie liebt ihre Freiheit über alles. Das ist es auch was sie mit ihrem Pferd verbindet. Für jemanden dem das am wichtigsten ist, ist etwas wie Dressur die Hölle. Sam sagt sogar einmal "Du bist das Gegenteil von Dressur" und genau das ist der Punkt. Wenn die Story diesen Aspekt als Hauptpunkt verfolgt hätte und der Höhepunkt, die Erkenntnis gewesen wäre, dass man sich im Leben einen Rahmen schaffen muss, um dort frei agieren zu können, hätte dies einen enormen Lerneffekt, der mitten ins Herz trifft. Hier hätte auch der äußerst interessante Konflikt zwischen Mikka und Ostwind einen Platz gefunden. Sie hatte ihm ursprünglich versprochen, er müsse nie wieder den Zwang erleben Turniere zu reiten. Hier hätte sogar das Pferd lernen können, dass Freiheit einen Rahmen braucht, um nicht zu verwahrlosen und ihre Verbundenheit wäre auf die Probe gestellt worden. Balance ist alles im Leben. So auch in Geschichten. Die witzigsten Momente im Film enstehen ohnehin bei diesem Thema, wenn Mika Beispielsweise zeigt, was sie unter Dressur versteht ( dem Pferd Grimassen beibringen) oder wenn Kaan dem Pferd die einzelnen Bewegungen vormacht. Auch Milan hätte hier eine stimmigere Rolle finden können, indem er Mika zeigt wie Dressur funktioniert. Bisher wirkt Milans Charakter unglaubwürdig, da er zum einen wilde Freiheit verkörpert - er lebt auf der Strasse - zum anderen weiß er aber nicht wie er ein wildes Pferd fangen soll. Wäre er zum Beispiel ein Trainer vom Konkurrenzgestüt, der extrem korrekt ist und deshalb nicht in der Lage ist das Pferd zu fangen, hätte am Ende auch er Balance finden können. Die Auflösung hätte in dem Moment, als Mika beschließt die Dressur ohne Sattel und Trense durch zu führen und damit beides zu verbinden - Freiheit und "Zwang" - einen sowohl spannenden als auch faszinierenden Höhepunkt erlebt und damit eine Auflösung für alle Charaktere herbeigeführt. Zwar könnte man dann kritisieren, es wäre im Grunde das gleiche wie im ersten Teil, aber ist es das nicht sowieso? Es ist eine Fortsetzung, kein eigenständiger Film.
Die Dialoge geben dies auch oft schon wieder. Nehmen wir zum Beispiel die Szene in der Mika zum ersten Mal auf Milan trifft. Stellen wir uns vor Milan wäre tatsächlich ein korrekter Trainer aus dem Konkurrenzgestüt. Vermutlich würde er aus einem reichen Elternhaus kommen - Reiten ist auf Wettkampfniveau sehr teuer- und würde exakt den selben Dialog wieder geben ("Ist das hier dein Wald oder was?" "Irgendwie schon." "Na dann tut's mir leid, dass ich nicht angeklopft habe!" "Wenigstens hast du die Schuhe ausgezogen!") würde er auf einmal auf jeder Ebene einen Sinn ergeben.
Der äußere Konflikt:
Die Problematik des äußeren Konflikts, ist während des ganzen Films nicht zu spüren.
Die Konkurrenzsituation zwischen Kaltenbach und Sasse wäre in meinen Augen ein stärkeres Motiv gewesen. Die Bedrohung - der Verlust des Gestüts - wäre die gleiche geblieben, aber der Gegner wäre greifbarer gewesen, sogar personifiziert durch Leopold Sasse, der großartig von Max Tidorf verkörpert wird.
Fazit:
Die Autoren haben sich durch die Anzahl an Konflikten die Möglichkeit genommen zu den runden Bildern eine stimmige Geschichte zu erschaffen.
Ich denke man hätte sich von Grund auf entscheiden müssen. Mache ich einen zweiten Teil, der an das vorherige anknüpft und es weiter vielleicht sogar zum Ende führt oder mache ich etwas komplett Neues.
So würde die Harmonie in den Bildern in der Geschichte fortgesetzt, ohne Spannung zu verlieren und zur Authentizität der Charaktere führen.