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"Der Nanny" oder warum Komödien eine große Portion Tragik vertragen können


Seit 9 Wochen ist Matthias Schweighöfers neue Kömödie "Der Nanny" in den deutschen Kinos zu sehen. Schweighöfers fünfter Film als Produzent verzeichnete bisher 1,5 Mio. Kinobesucher. Die witzige Familienkomödie liegt damit an vorletzter Stelle in der Rangliste aller Schweighöferfilme. Der Film "Vaterfreuden" hatte dies bereits nach 3 Wochen eingespielt und bis heute 2,3 Mio Zuschauer in die Kinos gezogen. Warum kommt ausgerechnet "der Nanny", trotz meiner Meinung nach guter Umsetzung, nicht ganz so gut beim Pubikum an? Ein genauerer Blick auf die Dramaturgie schafft Antworten.

Dramaturgische Analyse:

Der Inhalt ist schnell erzählt: Ein skrupelloser Bauunternehmer vernachlässigt seine Kinder und findet erst durch einen einfachen Mann, dessen Wohnviertel durch eines der Neubauprojekte bedroht ist, zu ihnen zurück.

Klingt im ersten Moment nach "alles schon gehört, alles schon gesehen".

Was trägt eine Geschichte, die klingt wie jede andere? Was macht sie dennoch interessant?

Die Charaktere!

Diese sind den Autoren - ganze vier Stück an der Zahl - auf eine solide Art und Weise gelungen und wurden auch größtenteils durch ein stimmig besetztes Ensemble eindrucksvoll dargestellt.

Jedoch hat man als Zuschauer immer wieder das Gefühl: "War das schon alles?" "Fehlt da nicht etwas?" "Ganz nett und lustig, aber das wars auch schon." "Alles sehr oberflächlich, wenn sie mich fragen."

Dabei hat dieser Film und vor allem die Charaktere und deren Darsteller großes Potential uns wahrhaftig zu berühren und im Gedächtnis zu bleiben!

Sehen wir uns also die einzelnen Personen genauer an:

Clemens Klina ist offensichtlich in seinen jungen Jahren ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann. Bauunternehmer um genau zu sein, der mit seinem Geschäftspartner August Wohngroßbauprojekte realisiert. Er lebt mit seinen zwei Kindern Winnie und Theo in einem Schloß auf einem Berg, fährt Ferrari und hegt allerlei andere Statussymbole. Für seine Kinder hat er auf Grund der vielen Arbeit keine Zeit - wie es im Film suggeriert wird. Genau hier liegt schon der erste Stolperstein. Im Film plätschert es so dahin: er arbeitet eben viel weil das aktuelle Projekt ein "alles oder nichts"Ding ist. Wenn sie es vermasseln sind sie pleite, wenn es funktioniert sind sie noch reicher als zuvor. Es geht also um seine finanzielle Existenz und die stellt er offensichtlich über seine Kinder. Was ist das für ein schrecklicher Mann, mag man sich hier fragen. Mit so jemandem, der das Geld über seine Kinder stellt möchte man nichts zu tun haben und schon gar keine Empathie empfinden. Aber dafür, dass er so skrupellos sein soll, ist er dann doch zu sympathisch. Das macht zum einen Schweighöfers Äußeres und zum anderen seine Unsicherheit, sein verfahrenes fast schon unterwürfiges Verhalten. Für mich passt das kaum zusammen. Die Bedrohung die Klina dazu bringt sich so zu verhalten ist nicht zu spüren. Die Motive sind einfach zu schwach und dies zieht sich durch jeden Charakter hindurch. Ich denke dies liegt vor allem an dem fehlenden "Warum". Für jede Handlungsweise eines Menschen gibt es einen Grund, ob bewusst oder unbewusst. Auch hier muss es doch einen tieferen Grund geben warum sich Klina weigert für seine Kinder da zu sein, sich mit ihnen zu beschäftigen, einfach eine Familie zu sein. Es kann eigentlich im Kontext nur einen Grund geben und das ist seine tote Frau. Sie wird jedoch nur zwei mal im ganzen Film erwähnt, wenn Ralf nach der Dame des Hauses fragt und wenn Theo feststellt früher hätten sie Vater und Mutter gehabt und nun nichts mehr. Sie existiert eigentlich nicht. Vielleicht sollte so dargestellt werden, dass sie fehlt. Aber wenn ich die Anwesenheit nicht spüre, kann ich auch nicht feststellen, dass etwas fehlt. Wenn etwas nicht existiert, kann es auch nicht fehlen und das ist es was den Film so oberflächlich macht. Clemens hat weder einen inneren Konflikt noch ein Need. Warum könnte Clemens unbedingt diesen Deal über die Bühne bringen wollen? Vielleicht weil er nach Sicherheit sucht. Der Tod seiner Frau - über den wir nichts wissen - hätte ihm diese zum Beispiel nehmen können und er versucht mit allen Mitteln diese wieder zu finden. Weil er sie braucht, die Sicherheit, um innerlich überleben zu können, um nicht an dem Schmerz zu zerbrechen und deshalb geht ihm dieses Projekt über seine Kinder. Geld bedeutet für viele Menschen Sicherheit. Ein weiteres Beispiel: Warum will Clemens sich nicht mit seinen Kindern beschäftigen? Vielleicht erinnern sie ihn so sehr an seine geliebte Frau, dass es ihn quält sie auch nur anzusehen. Dies wären starke Motive für sein Verhalten, die man spüren müsste. Dann könnten wir ihn verstehen, uns mit ihm identifizieren und mit ihm seine Reise erleben. Ohne inneren Konflikt, ohne ein Need gibt es auch keine Transformation. Dann gibt es auch keine Reise des Helden, weil es nichts zu lernen gibt. Das eine bedingt das andere.

Die fehlenden Needs und inneren Konflikte ziehen sich durchgängig durch alle Charaktere des Films.

Rolf's Motive lassen sich ebenso schwer erkennen. Sein Zuhause soll abgerissen werden, nur spürt man nicht, dass es sein Zuhause ist. Wir hören das immer wieder, es wird ständig gesagt "mein Zuhause" "unser Zuhause". Wann ist ein Zuhause ein Zuhause? Wenn unser Herz daran hängt. Wir erfahren in einem Nebensatz, dass Rolfs Mutter stolz gewesen wäre. Wir erleben jedoch nicht, was Rolf mit und an diesen Ort bindet. Selbst wenn es nur die Perspektivlosigkeit wäre, aber die wird nicht erwähnt. Er macht sich nichts aus Geld, aber aus was macht er sich dann etwas? Rolfs Verbundenheit mit diesem Ort könnte ebenfalls die Sicherheit sein, da er dort aufgewachsen ist. Er könnte vielleicht befürchten in einer anderen Welt - wie in der von Clemens - nicht bestehen oder sich nicht zurecht finden zu können. Dann hätte er sogar ein ähnliches Need wie Clemens, nur würde er es auf eine andere Art und Weise versuchen zu erreichen und das würde zugleich Spannung und Gemeinsamkeit schaffen. Ein zusätzliches Need könnte ein Wunsch nach Familie sein, da auch er offenbar seine Eltern verloren hat. Rolf glaubt sie in seinem Kiez und dessen Bewohnern gefunden zu haben. Wie man im Laufe des Films bemerkt ist dies jedoch nicht der Fall. Dann wäre es auch logischer, dass Rolf der eigentlich nichts mit Kindern zu tun hat und eigentlich auch nicht wissen dürfte wie man mit ihnen umgeht, durch Theo und Winnie lernt was Familie eigentlich bedeutet.

All das wären nachvollziehbare starke Motive die den Charakteren und damit auch dem Film Tiefe geben würden.

Das Fehlen der inneren Konflikte und Needs ist in fast jeder deutschen Komödie ein großes Manko. Vielleicht haben die Autoren Angst, dass Charaktere in Komödien nicht zu tief greifen dürfen, sonst ist es ja nicht mehr lustig, oder? Ich denke genau das Gegenteil ist der Fall. Gerade das Absurde, der Spagat zwischen Tragik und Komödie bringt uns erst zum lachen. Es kommt nicht von ungefähr, dass wir uns totlachen wenn jemand gegen eine Glasscheibe läuft oder auf einer Bananenschale ausrutscht. Im Grunde ist die bloße Tatsache nicht lustig und doch müssen wir über die Absurdität lachen. Tragödie und Komödie liegen eng beieinander, sind in meinen Augen sogar Zwillinge.

Also liebe Komödienschreiber : Habt keine Angst vor wirklicher Tiefe eurer Helden, sie können nur gewinnen! Vor allem an Authentizität!

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