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"Victoria" oder warum sich die Produktionsweise aus der Geschicht ergibt, nicht umgekehrt


Was war das für ein riesen Medienhype. Sebastian Schippers neuer Film "Victoria" wurde in jedem Artikel, jeder Kritik zum Meisterwerk des Jahres emporgehoben. Überall wurde prophezeit, dieser Film erfinde Kino neu , werde die Filmwelt durchrütteln. Eine Hommage an Berlin. Vergleiche mit "Lola rennt" - 1998 durch seine neuartige Erzählweise ebenfalls als "Wachrüttler" weltweit gefeiert - wurden gemacht. Und in der Tat, den Film in einem "Onetake", d.h. ohne Schnitt, alles an einem Stück zu drehen, klingt für jeden Medienmenschen nicht nur im ersten Moment vollkommen verrückt. Die Filmbranche weiß, was dies bedeutet, welche Meisterleistung an Organisation, Vorbereitung in allen Gewerken, schauspielerischem Können und Regiegeschick dahinter stecken muss. Im Grunde unvorstellbar. Das Team um Schipper hat es geschafft diesen unglaublichen Kraftakt zu stemmen. Und das in einer hervorragenden Qualität. Ohne Zweifel. Für die Produktionsart hat dieser Film jeden Preis der Welt verdient.

Die Branche ist sich also einig: Prädikat besonders wertvoll!

Die Resonanz des Publikums allerdings ist ernüchternd.

In der 9. Woche nur 246.341 Zuschauer. Unter normalen Umständen ein eindeutiger "Flop".

Trotz zahlreicher Preise und Ehrungen, kommt der Film nicht beim Publikum an. Manch einer mag hier argumentieren, spezielle, künstlerische Filme haben es immer schwer beim Zuschauer, aber ist das wirklich so? Ganz so einfach ist es nicht. Hier bietet sich tatsächlich der Vergleich zu "Lola rennt" an. Tom Tykwers Film lockte in Deutschland 2,2 Millionen in Deutschland in die Kinos. An der andersartigen Produktionsweise kann es also nicht liegen.

Aber was ist passiert?

Der Zuschauer weiß schlicht nicht was die Besonderheit dieses Films bedeutet. Er sieht einzig und allein eine Geschichte. Vielleicht wird dem ein oder anderen auffallen, dass es keinen Schnitt gibt, oft Unschärfen entstehen oder dass man nie wirklich frontale Kameraeinstellungen sieht, wo man sie eventuell gerne gesehen hätte, um den Charakter genauer zu erkunden. Aber im Grunde bleiben ihm nur zwei Dinge: die Story und die Charaktere.

Also betrachten wir diese näher.

Die Spanierin Victoria lebt seit 3 Monaten einsam in Berlin. Vor der Tür eines Clubs lernt sie die vier Freunde Sonne, Boxer, Fuß und Blinker kennen. Sonne lädt Victoria ein mit der kleinen Gruppe weiter zu ziehen. Die junge Frau geht darauf ein und folgt den Freunden durch die Nacht. Nachdem sie mit ihnen Bier in einem Kiosk geklaut und auf einem Dach mit ihnen Haschisch geraucht hat, bringt Sonne sie zurück zu einem kleinen Cafe in dem sie arbeitet. Victoria öffnet sich Sonne ein wenig und erzählt von ihrer Vergangenheit als Klavierschülerin in einem Konservatorium und auch ihre damit verbundene Niederlage. Sie werden unterbrochen, als die anderen Jungs vor der Tür stehen und Sonne auffordern zu einem Treffen zu gehen, das für den Exsträfling Boxer extrem wichtig, gar lebensbedrochlich zu sein scheint. Da der komplett betrunkene Fuß nicht mehr in der Lage ist mit zu kommen, springt Victoria kurzerhand für ihn ein. Das Treffen entpuppt sich jedoch als Erpressung zu einem Bankraub, durch einen Mafiaboss, dem Boxer einen Gefallen schuldet. Würden sie es nicht tun, würden sie Victoria als Pfand behalten, bis sie die geforderten 10.000,- EUR erhalten hätten. Die jungen Männer willigen notgedrungen ein. Auch Victoria ist als Fluchtfahrerin mit dabei. Im ersten Moment scheint der Einbruch gut zu verlaufen, jedoch ist ihnen bald die Polizei auf den Fersen und kreist die Gruppe in einem Wohngebiet ein. Blinker und Boxer werden von der Polizei erschossen, Sonne und Victoria gelingt es sich in ein Hotel zu flüchten. Dort wird klar, dass auch Sonne einen Schuss abbekommen hat. Er stirbt im Hotelbett neben Victoria, die hysterisch zusammen bricht. Nachdem sie sich wieder gefangen hat, nimmt sie das Geld des Raubüberfalls und geht.

Klingt im ersten Moment ganz aufregend. Leider kommt die Geschichte erst spät so richtig in Fahrt. Die erste Stunde zieht sich, anschließend wird es etwas wild und damit leider auch an vielen Stellen unrealistisch. Die Motivation für Victorias Handeln, das sich ausschließlich auf ihre Einsamkeit aufbaut, wirkt unwirklich und ist schlichtweg zu wenig. Würde jemand wirklich aus Einsamkeit so offensichtlich in ein Verbrechen rennen, der bisher wohl eher behütet aufgewachsen ist und vermutlich zum ersten Mal alleine und dann noch in einer fremden Großstadt lebt, deren Sprache sie nicht spricht? Verwirrend ist auch wie abgeklärt ihr ganzes Handeln ist, sogar in den Händen des Mafiabosses, als es um ihr Leben geht wirkt sie nicht sonderlich beängstigt. Woher kommt diese Abgeklärtheit? Fühlt sie sich wirklich so sicher? Kaum vorstellbar. Oder liegt ihr nichts an ihrem Leben?

Der Filmtitel lautet "Victoria" und preist sie damit als Heldin des Films an. Victoria ist jedoch keine Heldin, sondern eine Mitläuferin. Es gibt nur ein Stelle im Film in der sie das Ruder übernimmt, als sie mit Sonne in eine Wohnung flüchtet und dort die Idee hat ein Baby als Tarnung mitzunehmen. So können die beiden entkommen. Die restlichen 133 Minuten jedoch, fügt sie sich immer nur ihrem Schicksal oder läuft der Gruppe hinterher. Der ganze Charakter wirkt beliebig austauschbar. An ihrer Person gibt es nichts Besonderes, das einzig und allein sie dazu befähigt Teil dieser Geschichte zu sein. Falls ein Charakter überhaupt als Held zu identifizieren ist, dann ist es Sonne, dessen Entscheidungen die Handlung vorantreiben. Der aus Loyalität, jedes Risiko eingeht. Deswegen ist in meinen Augen schon der Titel falsch gewählt. Hinzu kommt, die Frage warum ist die Figur Victoria eigentlich Spanierin? Da Victoria sich mit der Gruppe nur in Englisch austauschen kann, ist der gesamte Dialog untertitelt. Die Untertitel erschweren dem Zuschauer enorm am Geschehen richtig teilzuhaben. Die Produktionsweise des Oneshots ist sowieso schon sehr präsent und verlangt einem viel Konzentration ab. Braucht man die Untertitel nicht um den Film, der zu 95% in Englisch gesprochen wird, zu verstehen, stören sie das Bild enorm und lenken extrem ab. Versteht man das Englische nicht und ist auf die Untertitel angewiesen, bekommt man erst recht nichts mit. So oder so kann man nur durch große Anstrengung folgen.

Ist es also für den Charakter notwendig aus Spanien zu kommen? Kann nur durch die Herkunft aus einem anderen Land große Einsamkeit erzeugt werden? Nein. Es ist nur einfacher. Ich denke es hätte dem Film bei dieser Produktionsweise viel gebracht nicht auch noch dieses Handicap mit auf sich zu nehmen. Daraus ergibt sich für mich die Frage warum überhaupt ein Oneshot? Was gibt der Aufwand dem Film, dass er ohne ihn nicht zu dem wird was er ist? Würde es die Story nicht geben, wenn der Film nicht auf diese Weise produziert worden wäre? Nein. Es besteht überhaupt keine Notwendigkeit für einen Oneshot und das ist für mich das Hauptproblem der Geschichte. Es wäre ein mindestens genauso guter wenn nicht sogar besserer Film geworden, hätte es eine normalen Schnitt gegeben. Wenn das Besondere an einem Film im Endeffekt nur die Produktionsweise ist, bleibt am Ende für den Zuschauer nichts mehr übrig. Auch hier nochmal der Vergleich zu "Lola rennt": Ohne die Möglichkeit der drei verschiedenen Enden gäbe es diese Geschichte nicht. Das ist es was Lola rennt zu einem Erfolg beim Zuschauer macht.

Die Produktionsweise ergibt sich aus der Geschichte die erzählt wird, nicht die Geschichte aus der Produktionsweise. So wirkt alles nur konstruiert. Nicht nur die Charaktere, von denen ich gerne durch ihre Interessanten Züge mehr gesehen hätte, sondern auch die Geschichte fallen damit in die Bedeutungslosigkeit.

Fazit:

Die fehlende angekündigte Heldin, die unaufgelösten oder generell nicht vorhandenen Konflikte, die englische Sprache, die Untertitel und die Produktionsweise machen es dem Zuseher schwer mitzuhalten und hinterlassen einen Wust an Verwirrung. Dies wirkt sich auch auf das Spiel der Schauspieler aus. Wenn dies die Intention des Films war Verwirrung zu stiften, ist es gelungen.

Ich persönlich bin der Meinung, dass ein Film immer ein Fazit für das Publikum haben sollte, das zum Nachdenken anregt und sei es noch so klein.

Mein einziges Fazit nach "Victoria" war, das sichere Gefühl froh zu sein nicht in Berlin leben zu müssen.Dieses Berlin hat weder Charme, noch Glamour, noch ein reizvolles Feeling. Nur Einsamkeit, Angst und Tod. Ist das wirklich Berlin?

Trotz allem Chapeau! an das gesamte Team und vor allem Sebastian Schipper, die sich getraut haben die Idee eines Onetakes in die Tat umzusetzen!

Bitte mehr davon! Nachahmer erwünscht!

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